Handbuch für eine neue Wissenschaft
Einführung in die Marktdesignlehre
Eine Einführung in die Einführung

(aus: Die humane Revolution, S. 157 - 167)

Die flächendeckende Einführung von unternehmensinternen Märkten für Humankapital in der humanen Revolution wird Experten brauchen, die wissen, wie man richtig Rahmen setzt, Spielregeln festlegt und ihre Einhaltung überwacht. Zur Zeit allerdings gibt es noch praktisch keine Spezialisten, die solche Märkte einrichten könnten.
Moment … es gibt keine Spezialisten für Märkte?
Eigentlich müssten doch in den Konzernen und in den Universitäten Hunderttausende von erfahrenen Marktwirtschaftlern sitzen, denen es ein Leichtes sein müsste, von der internen Plan- zur internen Marktwirtschaft zu wechseln.
Schön wär's.
Es gibt zwar schier unendlich viele Volkswirte, Betriebswirte, Unternehmer und Manager, die sich in einem Markt bewegen können, es gibt immer noch ziemlich viele, die einen neuen Markt erschließen können, also eine von den übrigen Marktteilnehmern noch nicht besetzte Lücke finden. Aber es gibt so gut wie keinen, der in der Lage wäre, einen neuen Markt einzurichten.
Beim Agieren auf Märkten geht es darum, Angebot und Nachfrage zur allgemeinen Zufriedenheit zur Deckung zu bringen, geht es um Preise, Mengen, Konditionen. Das können viele. Bei der Neueinrichtung von Märkten geht es um ganz andere Dinge. Es geht um Regeln, Gesetze, Normen, es geht um Klarheit, um Sicherheit, um Sanktionen bei Regelverstoß und um die Macht, diese Sanktionen auch durchzusetzen. Wer die unsichtbare Hand der Marktwirtschaft einsatzfähig machen will, muss den Rahmen zimmern, in dem sie sich bewegen kann.
Das können nicht viele.
Damit es mehr werden, wird ein neues Berufsbild erforderlich sein: der Marktdesigner. Er hat die Aufgabe, die Unternehmen bei der Einrichtung interner Märkte zu unterstützen, die Regeln an die spezifischen Erfordernisse des Unternehmens anzupassen und geeignete Kontroll- und Sanktionsmechanismen vorzuschlagen. Der dazu passende Studiengang, die Marktdesignlehre, ist wahrscheinlich an einer Fachhochschule besser aufgehoben als an einer Universität.
Im folgenden möchte ich einige der für diesen Studiengang sinnvollen Disziplinen kurz vorstellen:

Spieltheorie für Marktdesigner:
Wie wichtig die Gestaltung der einzelnen Spielregeln für einen Markt ist, lässt sich natürlich am besten - an Spielen zeigen. Und da wiederum am besten bei dem Spiel, das seit vielen Jahrzehnten als Inbegriff für kapitalistische Tugenden und Untugenden gilt - Monopoly. So, wie Charles Darrow 1934 die Regeln gestaltet hat, haben die Spieler gar keine andere Wahl als zu raffen, zu kaufen, was immer sich ihnen an Kaufgelegenheit bietet, Monopole anzustreben und gnadenlos auszunutzen. Mit ein paar kleinen Änderungen der Regeln könnten allerdings ganz andere Ergebnisse erzielt werden.
o Steigern statt kaufen: Wenn ein Spieler auf einem unverkauften Grundstück landet, hat er nicht das Recht, es zu kaufen, sondern das Recht zu entscheiden, ob es meistbietend versteigert werden soll. Diese Regel befördert die Vernunft und bestraft das Raffen - wer um jeden Preis kaufen, kaufen, kaufen will, wird schnell in der Pleite landen.
o Umverteilung durch Steuern: Wer auf "Zusatzsteuer" landet, muss nicht 2000 Mark zahlen, sondern 10 Prozent seines Geldvermögens abgeben - bei "Einkommensteuer" sind es 20 Prozent. Zudem muss er die Steuern nicht an die Bank zahlen, sondern an den Spieler, der gerade das geringste Geldvermögen hat. So wird der Sozialstaat ins Spiel eingeführt.
o Häuser verpflichten: Bei jedem Gang über Los werden fünf Prozent der Baukosten der Häuser und Hotels als Renovierungskosten fällig. Das bedeutet hohe laufende Kosten der Investitionen und dürfte die Bauwut massiv eindämmen.
Für das Spiel Monopoly wären diese Regeln natürlich kontraproduktiv. Sie würden die Spieldauer verlängern und das Spiel verkomplizieren. Der große Erfolg dieses Spiels beruht ja nicht zuletzt darauf, dass es sich weit genug von realistisch anmutenden Regeln entfernt hält und damit auch bei einer Änderung der Realität nicht altmodisch wird.
Bei unternehmensinternen Märkten ist ebenfalls die einfache, transparente Gestaltung der Regeln oberstes Gebot. Hingegen stellt die Variation einmal eingeführter Regeln die erste Wahl dar, um Fehlsteuerung oder gar Marktversagen abzustellen.

Verantwortungsinstallation:
Ohne Freiheit kein Markt.
Und ohne Verantwortung kein funktionierender Markt.
Die Verbindung von Freiheit und Verantwortung ist eine der wichtigsten Eigenschaften von effizienten Märkten. Auf herkömmlichen Finanz- und Gütermärkten ist dieser Zusammenhang einfach und scheinbar selbstverständlich. Der Freiheit des Nachfragenden, zu jedem beliebigen Preis zu kaufen, steht seine Budgetrestriktion gegenüber, also die Verantwortung für das eigene Geld. Die Freiheit des Anbieters, zu jedem beliebigen Preis zu verkaufen, wird durch seine Verantwortung beschränkt, zur eigenen Existenzsicherung damit Gewinn zu erzielen. Das beiderseitige Wechselspiel von Freiheit und Verantwortung sorgt dafür, dass es zum Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage kommt.
So weit die Theorie.
In der Praxis gibt es allerdings immer wieder Fälle, in denen es dieses Wechselspiel nicht oder nur unvollkommen gibt. Wenn in einer Kleinstadt eine Zahnarztfrau eine Boutique eröffnet, um sich nicht so zu langweilen, und keinerlei Anreiz hat, profitabel zu arbeiten, fehlt einem Marktteilnehmer die Verantwortungsdimension, was entsprechend nachteilige Auswirkungen auf die anderen Anbieter haben könnte.
Auch bei unternehmensinternen Märkten kann ein Vernachlässigen der Verantwortung fatale Folgen haben. Das Marktdesign muss also so ausgelegt sein, dass neben die Freiheit des Humankapital- Investors, sich jedes beliebige Investment auszusuchen, die individuelle Verantwortung tritt, die Rendite auf sein Humankapital zu maximieren. Zugleich muss allerdings Vorsorge gegen grob davon abweichendes Verhalten getroffen werden - was geschieht mit dem Markt, was mit dem Unternehmen, wenn zum Beispiel ein Beschäftigter im Auftrag eines Konkurrenten das Ziel verfolgt, die Rendite des Unternehmens zu minimieren?

Vergleichende Marktdesignlehre:
Hier werden verschiedene, in der Praxis bereits erprobte Märkte miteinander verglichen - hinsichtlich ihrer Effizienz, ihrer Fehlertoleranz, ihrer Transparenz, ihrer Entscheidungsstrukturen etc., um daraus Aufschlüsse darüber zu erlangen, in welcher Situation welches Design die besten Ergebnisse liefert.
Aus bekannten Gründen ist es mir hier leider noch nicht möglich, mit echten Beispielen zu arbeiten. Einige der Vergleichspunkte könnten allerdings sein:
o Spot-Markt, Teilmarkt oder Gesamtmarkt? Auf einem Spot-Markt wird nur ein kleiner Teil des gesamten Humankapitals gehandelt, etwa überschüssige Kreationspotenziale einer Abteilung. Auf einem Teilmarkt ist nur das Humankapital einer ausgewählten Gruppe von Beschäftigten aktiv. Auf einem Gesamtmarkt ist das gesamte in einem Unternehmen investierte Humankapital disponibel.
o Freiwillig oder obligatorisch? Liegt die Entscheidung über die Teilnahme am internen Humankapitalmarkt beim einzelnen Beschäftigten oder beim Unternehmen?
o Gesamt-Geschäft oder Neu-Geschäft? Werden nur neue Projekte, nicht aber die Kernbereiche des Unternehmens ins Marktsystem integriert (damit nicht plötzlich herauskommt, dass VW keine Autos mehr baut)?

Regulierungslehre:
Ganz ohne Regulierung geht es nicht. Das wusste schon Adam Smith, der Prophet des freien Marktes, der in seinem "System der natürlichen Freiheit" dem Herrscher immer noch drei Pflichten auferlegte: "Erstens die Pflicht, die Gesellschaft vor der Gewalttätigkeit oder Invasion anderer unabhängiger Gesellschaften zu schützen. Zweitens die Pflicht, jedes Mitglied der Gesellschaft, soweit es möglich ist, vor Ungerechtigkeit und Unterdrückung anderer Mitglieder der Gesellschaft zu schützen. Und drittens die Pflicht, bestimmte öffentliche Aufgaben und bestimmte öffentliche Institutionen zu erhalten, die nicht im Interesse des einzelnen Individuums liegen, weil sie sich für den einzelnen oder für kleine Gruppen nicht lohnen, obwohl sie sich für die Gesellschaft insgesamt mehr als auszahlen."
Regeln müssen sein, Regulierung darf sein; sie ist aber kein Wert an sich. Wenn ein Markt ohne Regulierung effizient arbeitet, sollte man ihn arbeiten lassen. Eine zu hohe Regulierungsdichte kann sogar wieder zum Umschlag von der Markt- in die Planwirtschaft führen. Da beim Übergang zum marktwirtschaftlichen System in den meisten Unternehmen wohl große Bedenken gegen die Leistungsfähigkeit der internen Märkte bestehen werden, ist zu erwarten, dass zu Beginn eine sehr hohe Regulierungsdichte gewünscht wird. Hierbei ist darauf zu achten, dass genügend Freiheitsmomente im Marktdesign enthalten sind, um einen marktwirtschaftlichen Prozess überhaupt in Gang zu bringen. Um hier überhaupt eine Argumentationsgrundlage zu haben, erarbeitet die Regulierungslehre ein Set von Indikatoren, aus denen sich eine Maßzahl für die absolute Regulierungsdichte ermitteln lässt.
Zudem sollte der Marktdesigner von Beginn an mit dem Unternehmen weitere Deregulierungsschritte vereinbaren, die nach und nach in Kraft treten, wenn der Markt seine ersten Bewährungsproben bestanden hat. Und auch für den umgekehrten Weg, eine schrittweise Zunahme der Regulierungsdichte, müssen Entscheidungskriterien sowie ein Zeitplan vereinbart werden.
Eine derartige schrittweise Annäherung an den gewünschten Regulierungsgrad ist anfangs kaum vermeidbar, auf Dauer aber zeitraubend und störanfällig. Aufgabe der Regulierungslehre ist es deshalb weiterhin, die für spezifische Situationen optimale Regulierungsdichte zu ermitteln, um dadurch dem Marktdesigner ein brauchbares Gestaltungsmittel an die Hand zu geben.

Wachstumsdesign:
Effiziente Märkte tendieren zum Gleichgewicht. Angebot und Nachfrage gleichen sich aus, der Markt wird geräumt.
Effiziente Unternehmen tendieren zum Wachstum. Neue Angebote suchen neue Nachfrage, neue Märkte werden erobert.
Effiziente unternehmensinterne Märkte müssen also Gleichgewichtszustände herbeiführen und gleichzeitig Wachstum induzieren. Um das jeweils passende Wachstumsdesign entwerfen zu können, müssen zuvor zwei Fragen beantwortet werden:
o Wieviel Wachstum soll es sein?
o Welches Wachstum soll es sein?
Die Frage nach dem Wachstumstempo scheint mit "so viel wie möglich" schnell beantwortet zu sein. Ist sie aber nicht. Rapide Wachstumsschübe in einem Jahr können dazu führen, dass in den nächsten Jahren Einbrüche auftreten - schließlich wächst kein Baum in den Himmel. Für die meisten Organisationen ist eine stetige Aufwärtsentwicklung angemessener als eine zackige. Gigantische Wachstumsraten sind zwar in Start-up-Phasen möglich und wünschenswert, können aber bereits formierte Unternehmen unter einen Stress setzen, der weder der Laune noch der Lebensdauer des Unternehmens förderlich ist.
Anders als gemeinhin und in der Betriebswirtschaftslehre angenommen ist nämlich die Profitmaximierung durchaus nicht das zentrale Ziel von Unternehmen - nicht einmal von Unternehmern: Die meisten sind durchaus zufrieden, wenn sie ohne größere Anstrengungen einen für sie ausreichenden Lebensstandard halten können. Wenn ich mir schon einen Ferrari leisten kann - warum sollte ich mich noch weiter abmühen, nur um noch einen Bentley in die Garage zu stellen?
Unternehmer sind Ausbeuter und Leuteschinder, sind findig, pfiffig, fleißig, offen und ganz wild auf Profitmaximierung - wenn die Regeln es verlangen. Auch beim Wachstumsdesign für interne Humankapitalmärkte stellt sich die Frage, welche Humankapital-Investoren das Unternehmen anziehen möchte: hungrige oder erfahrene, fleißige oder innovative, Profit- oder Glücksmaximierer?
Gerne übersehen wird, dass Wachstum auch immer wieder in Schrumpfung umschlagen kann. Für das Marktdesign ist allerdings der Umgang mit rückläufigen Umsätzen oder Renditen von eminenter Bedeutung. Schließlich wird sich die Überlebensfähigkeit eines Unternehmens dann beweisen, wenn die Lage schlecht ist, nicht dann, wenn es allen gut geht.
Die Frage nach der Wachstumsart lässt sich ebenfalls nicht allgemeingültig beantworten; jedes Unternehmen muss darauf seine eigene Antwort finden. Grundsätzlich gibt es die Alternativen, auf internes Wachstum zu setzen, also die zur Zeit bestehenden Geschäftsfelder kontinuierlich auf- und auszubauen, oder die Schaffung neuer Märkte anzustreben. Und auch dann stellt sich noch die Frage, ob bestimmte neue Märkte angesteuert, bzw. ob alle bestehenden Geschäftsfelder gleichermaßen ausgebaut werden sollen.
Das Unternehmen kann zudem die Regeln so festlegen, dass Innovationen eher von oben oder eher von unten angestoßen werden. Zu den intern festlegbaren Regeln gesellen sich allerdings noch externe Einflussfaktoren, die das Wachstumsdesign berücksichtigen muss: Das Wettbewerbsumfeld und die Wachstumschancen stellen sich in jeder Branche und für jedes Unternehmen anders dar - ein Zementhersteller wird ein anderes Wachstumsdesign brauchen als eine Multimediaagentur.
Das Marktdesign muss zwar nicht alle Eventualitäten im voraus berücksichtigen, was es ja auch gar nicht könnte, es muss aber Mechanismen vorsehen, die eine effiziente Reaktion auf externe Einflüsse erlauben.
Da die Marktdesignlehre eine wesentlich praxisnähere Disziplin ist als die Individualökonomie, mache ich mir um ihre Installation keine Sorge. Wenn in größerem Ausmaß interne Märkte eingerichtet werden, werden auch Spezialisten benötigt werden, die das können.
Ob diese ihr Handwerk auf einer Fachhochschule lernen oder in einer Berufsausbildung, oder ob es sich um eine Dienstleistung handelt, die von einem darauf spezialisierten Unternehmen angeboten wird, ist dabei nebensächlich.
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